Die Feigenbaum Konstante
Die Feigenbaum-Konstante [math]\delta[/math] spielt in der Chaosforschung eine ähnlich große Rolle wie [math]\pi[/math] in der Geometrie oder [math]\mathsf{e}[/math] in der Analysis[1]. Sie bezeichnet den Wert gegen den das Verhältnis der Längen zwei aufeinander folgender Intervalle, die durch "Gabelungen" (Bifurkationen) begrenzt sind, konvergiert. (Siehe Graphik "Feigenbaum-Diagramm")
Die Zahl wurde von Mitchell Feigenbaum im Jahr 1975 entdeckt und ihr Zahlenwert wurde 1977 von den Physikern Siegfried Großmann und Stefan Thomae erstmals bestimmt.
Es gilt: [math]\delta\approx 4,6692[/math]
Die logistische Gleichung
Die logistische Gleichung wurde 1837 von Pierre François Verhulst eingeführt, um Populationen bzw. deren Entwicklung modellhaft darzustellen.
Sei [math]\boldsymbol{X}_n\in\lbrack 0,1\rbrack[/math] die relative Größe einer Polulation (als Anteil an der maximal möglichen Population) zu einem Zeitpunkt [math]n[/math] (zum Beispiel der Anteil der mit COVID-19 infizierten Menschen.) Man kann [math]n[/math] als beliebiges Zeitintervall auffassen, so kann [math]n[/math] beispielsweise Monate oder Jahre symbolisieren. [math]\boldsymbol{X}_0[/math] bezeichnet die Startpolulation zum Zeitpunkt [math]n = 0[/math].
Dann berechnet sich die Größe der Population [math]\boldsymbol{X}_{n+1}[/math] rekursiv mit der logistischen Gleichung:
[math]\boldsymbol{X}_{n+1} = r*\boldsymbol{X}_n * (1-\boldsymbol{X}_n) [/math]
wobei der Parameter [math]r\in\lbrack 0,4\rbrack[/math]der Wachstumsfaktor ist.
Die Gleichung berücksichtigt 2 Effekte:
1). Je größer die Population zum Zeitpunkt [math]n[/math] ist, desto größer ist durch Vermehrung die nachfolgende Population.
2) Je näher die relative Größe der Population am Maximum (=1) ist, das durch natürliche Begrenzungen gegeben ist, desto weniger Ressourcen (uninfizierte Menschen/Nahrung, ..) gibt es, sodass sich die Population wieder verringert.
Interpretation als Folge
Dadurch, dass eine Population zum Zeitpunkt [math]n+1[/math] durch die Population zum Zeitpunkt [math]n[/math]berechnet wird, kann man [math](\boldsymbol{X}_{n})_{n\in\mathbb{N}}[/math] als rekursiv definierte Folge mit Startwert [math]\boldsymbol{X}_{0}[/math] auffassen. Dabei muss [math]\boldsymbol{X}_{0}\in\lbrack 0,1\rbrack[/math] gelten, denn trivialerweise muss die Population positiv sein und nicht größer als die obere Schranke.
Das Verhalten der Folge hängt vom Wachstumsfaktor [math]r[/math] ab. Dieser muss im Intervall [math][0,4][/math] liegen, denn falls [math]r<0[/math] ergeben sich negative Anteile an der Maximalpopulation und falls [math]r>4[/math] ergibt sich mit [math]\boldsymbol{X}_n = 0.5[/math] dass [math]\boldsymbol{X}_n+1 > 4*0.5*(1-0.5) = 1[/math] was größer als 100% der maximalen Population wäre.
Der Grenzwert der Folge
Der Grenzwert der Folge, wenn er existiert, ist unabhängig von dem Startwert [math]\boldsymbol{X}_0[/math] und wird nur durch [math]r[/math] bestimmt.
Das ist leicht daran erkennbar, dass mit [math]\boldsymbol{g}:=\lim\limits_{n \to \infty}\boldsymbol{X}_n[/math]gilt, falls [math]g \neq 0[/math]:
[math]\boldsymbol{g} = r*\boldsymbol{g} * (1-\boldsymbol{g}) [/math]
[math]\Rightarrow 1=r-r*\boldsymbol{g}[/math]
[math]\Rightarrow r*\boldsymbol{g}=r-1[/math]
[math]\Rightarrow \boldsymbol{g}=\frac{(r-1)}{r}[/math]
Die Bedingung [math]g \neq 0[/math] ist nötig, um nicht durch 0 zu teilen. Im Abschnitt Verhalten in Abhängigkeit von r wird gezeigt, dass das genau dann der Fall ist, wenn [math]r>1[/math].
Beispiele
Sei [math]\boldsymbol{X}_0 = 0.5[/math] (also die Hälfte der maximal möglichen Population) und [math]r=2.5[/math].
Daraus ergibt sich:
n | [math]\boldsymbol{X}_n[/math] | ... (n,Xn) |
---|---|---|
1 | [math]2.5*0.5*(1-0.5)=0.626 [/math] | (35, 0.6000000000016) |
2 | [math]\approx 0.5859[/math] | (36, 0.5999999999992) |
3 | [math]\approx 0.6065[/math] | (37, 0.6000000000004) |
4 | [math]\approx 0.5966[/math] | (38, 0.5999999999998) |
5 | [math]\approx 0.6017[/math] | (39, 0.6000000000001) |
(40, 0.6) | ||
(41, 0.6) |
Die Folge der [math]\boldsymbol{X}_n[/math] nähert sich also dem Grenzwert [math]\frac{(2,5-1)}{2,5} = 0,6[/math] alternierend, wie man auch gut in Graphik 1 sehen kann.
Bei demselben [math]r[/math] mit Startwert [math]\boldsymbol{X}_0 = 0,1[/math] sieht man, dass der Grenzwert unabhängig von der Startpopulation ist (Graphik 2).
Bei einem geringeren Wachstumsfaktor [math]r[/math] ist auch der Grenzwert kleiner (Graphik 3).
Verhalten in Abhängigkeit von r
Wenn auf der x-Achse der Wert von [math]r[/math] aufgetragen wird und auf der y-Achse der entsprechende Grenzwert der Population, ergibt sich stückweise folgendes Diagramm 1[2][3]:
Fall [math]\boldsymbol{I}: 0 \le r \le 1[/math]
Die Folge konvergiert gegen 0, d.h. die zu simulierende Populationen würden bei längerer Laufzeit aussterben.
Fall [math]\boldsymbol{II}: 1 \lt r \le 3[/math]
Die Folge/Population konvergiert gegen den Grenzwert [math]g=\frac{r-1}{r}[/math].
Je größer [math]r[/math] ist, desto größer ist auch der Grenzwert.
Fall [math]\boldsymbol{III}: 3 \lt r \le 1+\sqrt{6} \sim(3.45)[/math]
Die Folge/Population springt zwischen 2 Häufungspunkten. Das führt zu der Bifurkation (Gabelung) im Diagramm 1 bei [math]r = 3[/math].
Der größere der beiden Häufungspunkte ist mit wachsendem [math]r[/math] streng monoton steigend, der kleinere Häufungspunkt ist streng monoton fallend.
Beispiel
[math]\boldsymbol{X}_0 = 0,5 [/math] und [math]r = 3,2[/math]. Die darauf basierende Folge hat die Häufungspunkte H1≈ 0,513 und H2 ≈ 0.8 (siehe Graphik 4).
Intuitiv kann man sich das so vorstellen, dass eine Population die zu schnell wächst, bereits im 1. Jahr eine Größe erreicht, sodass nicht mehr genügend Ressourcen vorhanden sind. Dadruch schrumpft die Population im Folgejahr wieder. Durch ihr starkes Wachstum hat sie im 3. Jahr aber bereits wieder die Überbevölkerung erreicht. Auf diese Weise ist jene Population stets am oszilieren.
Fall [math]\boldsymbol{IV}: (3.45)\sim 1+\sqrt{6} \lt r \lt 3,57 [/math]
Bei ca. 3.45 fängt die zweite Bifurkation an und es gibt nun 4 Häufungspunkte.
Die nächste Verdopplung beginnt bei 3.54, dort gibt es dann 8 Häufungspunkte. Die Anzahl der Häufungspunkte der Folge/Population verdoppelt sich mit steigendem [math]r[/math] immer schneller. Ein Intervall, das durch 2 Bifurkationen begrenzt ist, wird dadurch immer kleiner.
Fall [math]\boldsymbol{V}: 3,57 \le r \lt 4[/math]
Nachdem sich die Anzahl der Häufungspunkte mit steigendem [math]r[/math] bis zu 3.57 immer schneller verdoppelt, fängt ab ca. 3.57 plötzlich Chaos an. Dies bedeutet ,dass die Folgen nicht mehr gegen eine endliche Anzahl an Häufungspunkten konvergieren, sondern sich ohne erkennbare Muster fortsetzen. Bei diesen chaotischen Parametern spielt auch der Anfangswert wieder eine Rolle, da schon eine minimale Änderung eine ganz andere Folge erzeugt.
Es existieren jedoch auch in diesem Bereich nicht-chaotische Parameter. In der Umgebung von 3.82 gibt es ein Intervall mit 3 Häufungspunkten (der senkrechte weiße Streifen im hinteren Teil des Diagramms), welches in ein kleineres Intervall mit 6 Häufungspunkten übergeht usw. , bis es wieder in Chaos übergeht. Tatsächlich kann man für jede beliebige Anzahl von Häufungspunkten in diesem Bereich ein Intervall finden.
Schlussendlich liegen die nicht chaotischen Parameter dicht in diesem Bereich, d.h. in jedem noch so kleinen Teilintervall aus diesem Bereich befinden sich Parameter, mit denen die Folge gegen eine endliche Anzahl an Häufungspunkten konvergiert
Fall [math]\boldsymbol{VI}: 4 ≤ r[/math]
Die Folge wächst monoton und überschreitet somit auch bei einem groß gewählten [math]n[/math] irgendwann die obere Populationsgrenze, und ist damit für Bevölkerungssimulationen nicht zu gebrauchen. Schlussendlich divergiert sie gegen [math]+ \infty[/math]
Die Berechnung der Feigenbaumkonstante
Ein Intervall ist ein Bifurkationsintervall, wenn für jedes [math]r[/math] aus dem Intervall die Folge [math](\boldsymbol{X}_{n})_{n\in\mathbb{N}}[/math] die gleiche Anzahl an Häufungspunkten besitzt
Beispielsweise ist [math]\lbrack 3, 3.45\rbrack[/math] ein Bifurkationsintervall, da die Folge [math](\boldsymbol{X}_{n})_{n\in\mathbb{N}}[/math] für jedes [math]r[/math] aus diesem Intervall 2 Häufungspunkte hat (vgl [math]\boldsymbol{III}[/math]), dieses Intervall nennen wir [math]\boldsymbol{A}_1[/math] und jedes drauffolgende [math]\boldsymbol{A}_n[/math] ist das zugehörige Intervall mit [math]2^n[/math] Häufungspunkten. Mit [math]|\boldsymbol{A}_n|[/math]bezeichnen wir die Länge des Intervalls [math]\boldsymbol{A}_n[/math]. Diese neu konstruierte Folge ist eine monoton fallende Nullfolge, deren Partialsumme konvergiert, d.h. [math]\sum_{n=1}^\infty|\boldsymbol{A}_n| \approx 0.57[/math], dies ist die Länge des in [math]\boldsymbol{III}[/math] und [math]\boldsymbol{IV}[/math] beschriebenen Bereichs.
Wir definieren nun die Folge [math]\boldsymbol{B}_n = \frac{| \boldsymbol{A}_{n}|}{|\boldsymbol{A}_{n+1}|}[/math], diese stellt die Verhältnisse zweier benachbarter Bifurkationsintervalle dar. Die Folge [math]\boldsymbol{B}_n[/math] konvergiert gegen die Feigenbaumkonstante [math]\delta\approx 4,6692[/math]. Diese Konstante ist nicht auf die logistische Gleichung beschränkt, sondern lässt sich beispielsweise mit der gleichen Methodik mit der Funktion [math]\boldsymbol{X}_{n+1}=\lambda*\sin(\boldsymbol{X}_n)[/math]bestimmen.
n | An | |An| | Bn=|An|/|An+1| |
---|---|---|---|
1 | [3,3.4494897] | 0.4494897 | 4.7514 |
2 | [3.4494897, 3.5440903] | 0.0946006 | 4.6562 |
3 | [3.5440903, 3.5644073] | 0.020317 | 4.6683 |
4 | [3.5644073, 3.5687594] | 0.0043521 | 4.6686 |
5 | [3.5687594, 3.5696916] | 0.0009322 |
Bezug zur Mandelbrot-Menge[4]
Vergleich zum Mandelbrotset[G 3]
Farbcodiertes Mandelbrotset, die Zahlen entsprechen der Anzahl an Häufungspunkten des jeweiligen Kardioiden[G 4]
Wir schauen uns nun einen beschränkten Bereich der reellen Zahlen an. Setzen wir in der rekursiven Folge [math]\boldsymbol{I}[/math] [math]z_{n+1}=z^2_{n+c}[/math] für c eine reelle Zahl aus dem Intervall [-0.75;0.25] ein, dann konvergiert die Folge und die c ist somit Teil der Mandelbrot-Menge. wenn c eine Zahl zwischen -0.75 und ca. -1.25 ist, dann konvergiert die Folge gegen einen alternierenden Grenzzyklus zwischen zwei Häufungspunkten. Je weiter das c gegen -1.5 geht, desto schneller verdoppelt sich die Anzahl der Häufungspunkte, bis es schlieslich in Chaos übergeht. Man erkennt Parallelen zu der Entwicklung des Feigenbaum-Diagramms, und kann dieses durch leichte isomorphe Veränderungen (Spiegelung an der y-Achse und eine Verschiebung und Streckung in Richtung der x-Achse) so positionieren, dass die Anzahl und Verteilung der Häufungspunkte des Feigenbaum-Diagramms und der Häufungspunkte der oben besprochenen Folge gleichen (siehe 1)(DAS ERSTE BILD VON DIESEM KAPITEL VERLINKEN)
Wir betrachten nun die Kardioiden der Mandelbrot-Menge anschauen ,d.h. "Körper des Apfelmännchens" (siehe bild 2)(DAS ZWEITE BILD VON DIESEM KAPITEL VERLINKEN). Alle Werte, die das Innere eines Kardioiden bilden, besitzen die gleiche Anzahl an Häufungspunkten in der Folge(römisch 1). Deshalb können wir durch die Bifurkationstheorie die Anzahl der Häufungspunkte von Kardioiden berechnen, welche Teile der beschränkten reellen Achse überdecken.
Auch hier konvergieren die Längenverhältnisse zweier Kardioiden der Mandelbrot-Menge gegen die Feigenbaumkonstante.