Bertrand'sches Sehnen-Paradoxon
Das Bertrand’sches Sehnen-Paradoxon wurde zuerst von Joseph Bertrand in seinem Werk ”Calcul des probabilités” präsentiert. Es behandelt die Frage mit welcher Wahrscheinlichkeit auf einem Kreis eine zufällig gewählte Sehne (Strecke zwischen zwei Punkten auf einem Kreis) länger ist als die Kanten eines einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks im Kreis. Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Sehnen zufällig zu verteilen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das Paradoxon zeigt so anschaulich, dass Wahrscheinlichkeiten nicht eindeutig bestimmt seinen müssen, wenn die Methode zur Erzeugung der Eingabe nicht eindeutig bestimmt ist.
4 Methoden zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit
Methode 1: zufällige Endpunkte
Da das Problem rotationssymmetrisch ist, sei o.B.d.A. ein Sehnen-Endpunkt [math] P [/math] fest. Weiterhin stimme ein Eckpunkt des einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks mit [math] P [/math] überein. Ausgehend von der Tangente durch [math] P [/math] an den Kreis betrachte man den im Bogenmaß gemessenen Winkel [math] \Theta [/math] als gleichverteilte Zufallsvariable auf [math] (0, \pi)=(0°, 180°) [/math]. Wegen Symmetrie gilt nun: Die Sehne ist länger als eine Dreiecksseite genau dann, wenn [math] \Theta \in \left(\frac{\pi}{3},\frac{2\pi}{3}\right) = (60°,120°) [/math]. Damit folgt fur die gesuchte Wahrscheinlichkeit:
[math] p_1 = \frac{1}{\pi-0} \cdot \left( \frac{2\pi}{3} - \frac{\pi}{3} \right) = \frac{1}{3}. [/math]
Methode 2: zufälliger Radius
Da das Problem rotationssymmetrisch ist, spielt die Richtung der Sehne keine Rolle, und sei daher o.B.d.A. senkrecht zur [math] X [/math]-Achse in einem Koordinatensystem. Weiterhin liege ein Eckpunkt des einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks auf der [math] X [/math]-Achse. Die zufällige Sehne ist nun eindeutig durch ihren Schnittpunkt [math] U [/math] mit der [math] X [/math]-Achse bestimmt. Da es lediglich auf Längenverhältnisse ankommt, können wir den Einheitskreis betrachten, sodass der Abstand der vertikalen Dreiecksseite zur [math] Y [/math]-Achse genau [math] \frac{1}{2} [/math] beträgt. Nach Identifikation von [math] U [/math] mit dessen [math] X [/math]-Koordinate können wir [math] U [/math] als gleichverteilte Zufallsvariable auf [math] (-1, 1) [/math] annehmen. Es gilt nun:
Die Sehne ist länger als eine Dreiecksseite genau dann, wenn [math] -\frac{1}{2} \lt x \lt \frac{1}{2} [/math].
Damit folgt für die gesuchte Wahrscheinlichkeit:
[math] p_2 = \frac{1}{1-(-1)} \cdot \left( \frac{1}{2} - \left(-\frac{1}{2}\right) \right) = \frac{1}{2}. [/math]
Methode 3: zufälliger Sehnen-Mittelpunkt
Es sei der Sehnen-Mittelpunkt [math] M [/math] gleichverteilt innerhalb der abgeschlossenen Einheitskreisscheibe [math] \{(x,y) \in \mathbb{R}^2 \, | \, x^2 + y^2 \leq 1\} [/math] um den Ursprung. Dann steht die zufällige Sehne senkrecht zur Verbindungsgerade von Kreismittelpunkt und [math] M [/math]. Es gilt nun:
Die Sehne ist länger als eine Dreiecksseite genau dann, wenn [math] M [/math] innerhalb des gestrichelten konzentrischen Kreises mit Radius [math] \frac{1}{2} [/math].
Damit folgt für die gesuchte Wahrscheinlichkeit:
[math] p_3 = \frac{1}{\pi\cdot1^2} \cdot \left( \pi \cdot \left(\frac{1}{2}\right)^2 - \pi \cdot 0^2 \right) = \frac{1}{4}. [/math]
Methode 4: zwei zufällige Punkte
Da das Problem rotationssymmetrisch ist, sei ein Sehnen-Endpunkt [math] P [/math] auf dem Kreisrand fest, sodass dieser auf der [math] X [/math]-Achse eines Koordinatensystems liege. Im einbeschriebenen gleichseitigen Dreieck stimme wieder o.B.d.A. ein Eckpunkt mit [math] P [/math] überein. Der zweite Punkt, durch welchen die Sehne verläuft, sei gleichverteilt innerhalb des Einheitskreises. Dann gilt:
Die Sehne ist länger als eine Dreiecksseite genau dann, wenn der zweite Punkt innerhalb der blauen oder innerhalb der gelben Fläche liegt.
Die blaue Fläche ist mit der Seitenlänge [math] \sqrt{3} [/math] des Dreiecks gleich [math] \frac{3\sqrt{3}}{4} [/math]. Wegen Symmetrie sind die verbleibenden drei Kreissegmente gleich groß und die gelbe Fläche berechnet sich zu [math] \frac{1}{3} \cdot \left( \pi \cdot 1^2 - \frac{3\sqrt{3}}{4} \right) = \frac{\pi}{3} - \frac{\sqrt{3}}{4}. [/math]
Damit folgt für die gesuchte Wahrscheinlichkeit:
[math] p_4 = \frac{1}{\pi \cdot 1^2} \cdot \left( \frac{3\sqrt{3}}{4} + \frac{\pi}{3} - \frac{\sqrt{3}}{4} \right) = \frac{1}{3} + \frac{\sqrt{3}}{2\pi} \approx 0.609. [/math]
Numerische Vergleiche
Die Unterschiede in der Verteilung der Sehnen mit den 4 unterschiedlichen Methoden werden auch bei einer graphischen Darstellung deutlich. An dieser Stelle sind sowohl die Sehnen selbst, als auch die Mittelpunkte der Sehnen dargestellt. Betrachtet man die Verteilung der Sehnen so erscheinen Methode 2 und 4 in dieser Darstellung gleichmäßiger verteilt als Methode 1 und 3, da sich in Methode 1 die Sehnen vermehrt auf den Rand konzentrieren und in Methode 3 deutlich weniger Sehnen durch das Zentrum als durch den äußeren Bereich verlaufen. Die Darstellung der Mittelpunkte bietet sich an, da Sehnen im Kreis durch ihren Mittelpunkt wohldefiniert sind. In dieser Darstellung erscheint nur Methode 3 gleichmäßig verteilt, bei allen anderen Methode treten die Mittelpunkte vermehrt im Zentrum des Kreises auf. Bei Methode 1 treten zusätzlich noch vermehrt Mittelpunkte am Rand auf.
Siehe auch
Einzelnachweise
Autoren
- Adrian Becker
- Lennart Stöpler
- Timo Dörzbach